Ninon Ausländer
1895–1966
Ninon, 1895 in Czernowitz, einer Kleinstadt im östlichsten Kronland der Habsburgischen Monarchie, geboren, las als 14-jährige Schülerin Peter Camenzind und schrieb hoch beeindruckt an Hermann Hesse. Daraus entspann sich ein nicht abreissender Briefwechsel zwischen dem achtzehn Jahre älteren, bekannten Autoren und der bewundernden, aber auch kritischen Leserin.
1913 ging Ninon nach Wien, wo sie zunächst ein Medizinstudium begann und sich später für Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie einschrieb. Hier lernte sie auch ihren ersten Mann Fred Dolbin kennen, von Beruf Ingenieur, der sich dann als Karikaturist einen Namen machte. Studienaufenthalte führten sie nach Paris und Berlin.
Die erste Begegnung zwischen Ninon und Hermann Hesse fand 1922 in Montagnola statt. Im März 1926 begann ihre Liebesbeziehung in Zürich, zu einem Zeitpunkt, wo beide sich mit der bevorstehenden Trennung vom jeweiligen Ehepartner, Fred Dolbin und Ruth Wenger, auseinandersetzten. Ninon besuchte Hesse daraufhin in der Casa Camuzzi in Montagnola, um dann schliesslich für immer zu ihm zu ziehen. Hesse war bald auf ihre Nähe angewiesen, auch wenn er diese Tatsache oft herunterspielte.
1927 schreibt Hesse folgendes Gedicht:
Für Ninon
Dass du bei mir magst weilen,
Wo doch mein Leben dunkel ist
Und draussen Sterne eilen
Und alles voll Gefunkel ist,
Dass du in dem Getriebe
Des Lebens eine Mitte weisst,
Macht dich und deine Liebe
Für mich zum guten Geist.
In meinem Dunkel ahnst du
Den so verborgnen Stern.
Mit deiner Liebe mahnst du
Mich an des Lebens süssen Kern.
In die Heirat 1931 fügt er sich eher widerwillig. An Alfred Kubin schreibt Hermann Hesse:
»Meine Heirat ist nichts anderes, als was bei mir eben Heirat sein kann: ein Akt der Ergebung nach langem Sträuben, eine Gebärde des Nachgebens. […] Immerhin, ich bin dieser Frau dafür dankbar, dass sie mich an der Grenze des Alters noch einmal in Versuchung geführt und zu Fall gebracht hat, dass sie mein Haus führt und mich mit leichten, bekömmlichen Sachen füttert, da ich meistens krank bin«.
Im Jahr der Heirat ziehen die beiden in die Casa Rossa, etwas ausserhalb von Montagnola, wo Ninon resolut das Haus führt, Hesse unterstützt, ungebetene Besucher abweist – und auch die eigenen Interessen verfolgt, die sich im Laufe der Jahre auf die antike Mythologie Griechenlands konzentrieren. Ausgedehnte Reisen nach Griechenland führen immer wieder zu einer räumlichen und innerlichen Trennung, die ihr Kraft gibt für den Alltag. Durch ihre Erfahrungen und Erzählungen bereichert sie auch Hermann Hesse, der durch ihre Reiseberichte indirekt an ihrem Leben teilnimmt.
Welchen hohen Stellenwert ihr eigenes, von Hesse unabhängiges Leben, für Ninon besass, bringt sie in einem Brief 1954 an Gisela Kleine zum Ausdruck:
»Lernen Sie nicht Aufopferung als Postulat an das Weibliche. […] Gefährte-Sein ist eine Forderung, die für den Mann ebenso gilt wie für die Frau, beides aber ist ein Nebenziel, nicht die Hauptsache.«
Rückblickend erklärt sie nach Hesses Tod:
»Er konnte nur deshalb mit mir leben […] weil ich wusste, dass seine Arbeit, und nicht nur sie, auch die Bereitschaft zur Arbeit, für ihn das Wichtigste war; Liebe und Gemeinschaft, Freundschaft und Kameradschaft, das kam alles erst in zweiter Linie.«
Nach dem Tod von Hermann Hesse im Jahre 1962 sichtet Ninon mit grosser Sorgfalt den Nachlass und entscheidet sich schliesslich für die Unterbringung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Nach Fertigstellung des Manuskripts Kindheit und Jugend vor Neunzehnhundert, Hermann Hesse in Briefen und Lebenszeugnissen stirbt Ninon am 22. September 1966 in Montagnola.